Mission Griechenland: Julias zweiter Brief

Julia Eder aus unserer Jugendredaktion reiste im Herbst 2015 nach Griechenland, um ein Jahr lang für die Ärmsten der Armen da zu sein (wir berichteten). Nach Brief eins erreichte uns der zweite Brief, in dem sie ihre Erlebnisse schildert und über ihre Gefühle schreibt …

Liebe Familie, liebe Paten, liebe Freunde!

Mittlerweile sind zwei Monate seit dem letzten Brief vergangen und ich bin mir sicher, ihr seid schon gespannt wie es mir nun in Griechenland geht. Mit jedem Tag fühle ich mich hier mehr zu Hause.
Meine Zeit für unsere Freunde zu geben bereitet mir eine große Freude. Man sollte meinen, wir geben unseren Freunden mehr, als wir von ihnen empfangen, doch sehr oft mache ich die Erfahrung, dass ich mehr beschenkt werde als umgekehrt. Wenn mir das bewusst wird, fühle ich im ersten Moment Enttäuschung darüber, dass ich nicht mehr für sie tun kann, als ihnen meine Zeit zu geben, ihre Hand zu halten und ihnen zuzuhören. Doch wenn ich zum Beispiel die strahlenden Augen der Bewohner des Altersheimes Kalos Samaritis sehe, wenn wir den Raum betreten, lösen sich diese Gefühle in Luft auf. Oft haben wir nicht mehr Zeit, als ihnen einfach einen guten Morgen zu wünschen und ein paar Worte zu wechseln. Trotzdem nehmen sie uns ganz fest bei der Hand und flüstern „Danke, dass ihr hier seid“. Dieses „Danke“ kommt aus dem Herzen und ist wie ein sanftes Lächeln Gottes.
In diesen Momenten wünschte ich mir, mehr Griechisch zu sprechen. Auch wenn ich einer simplen Konversation bereits folgen und auch selbst schon einfache Gespräche führen kann, möchte ich am liebsten sofort richtig zu sprechen beginnen. Erstmals habe ich begriffen, was es bedeutet, sich nicht ausdrücken zu können. Nun kann ich mich leichter in die Flüchtlinge einfühlen, die ihr Land verlassen haben und nun komplett von neuem beginnen müssen. Was die Sprache betrifft, die Ausbildung, die Beziehungen.
Auch kleinen Kindern muss es so gehen. Manchmal, wenn ich die kleine Rosaline Gabrielina ansehe – ich habe in meinem ersten Patenbrief von ihrer Taufe erzählt – scheint es oft so, als würde sie in einem Moment gerne etwas sagen. Sie macht den Mund auf und strengt sich so an, aber es will einfach nichts herauskommen. So geht es mir auch oft.  :-)

jump200Heart’s Home got Amazing Talent

Ein Highlight im November war ein kleiner Showabend, den wir für unsere jüngeren Freunde organisiert hatten. „Heart’s Home got Amazing Talent“ – „Offenes Herz hat außergewöhnliche Talente“ – kam bei unseren großen und kleinen Freunden sehr gut an. Aurela, eine unserer Freunde aus dem MENIDI-Zentrum, gab ein griechisches Lied zum Besten, Claudiana und Natalya – ebenfalls aus Menidi – tanzten und Serge, ein guter Freund aus Nigeria, sang sein Lieblingslied. Silva, die Schwester von Aurela und ihre Freundin Vasilia tanzten einen griechischen Volkstanz. Auch wir als Gemeinschaft präsentierten einige unserer Talente. Wir hatten auch eine Jury, die die Showeinlagen bewertete. Für die beiden Sieger, Serge und Natalya (Foto links) gab es einen kleinen Preis. Es war ein sehr schöner Abend voller Freude und Lachen.

Weihnachten mal anders

Im Dezember bereiteten wir uns auf Weihnachten vor. Wir schmückten unser Apartment mit selbst gebastelter Weihnachtsdekoration und machten einen Adventskranz, den wir in die Kapelle stellten. Bei jedem Gebet erfüllte er unsere kleine Kapelle mit seinem schönen Schein und leuchtete uns so durch die Adventszeit. Mein Gemeinschaftsbruder Irenee baut leidenschaftlich gerne Krippen und bastelte den ganzen Dezember an unserer Weihnachtskrippe. Am Ende hatten wir sowohl im Salon als auch in der Kapelle eine wunderschöne Krippe, auf die er sehr stolz ist. Es steckt so viel Arbeit und Liebe darin, die man auch sehen kann.
Weihnachten kam schneller als gedacht und mit einem Mal stand der Heilige Abend vor der Tür. Mein erstes Weihnachten, das ich nicht mit meiner Familie verbracht habe. Auch wenn ich während der Adventszeit und am Weihnachtsabend großes Heimweh hatte, half Jesus mir durch diese Zeit.

Wir spielen die Herbergssuche für Roma- und Sintikinder in der Suppenküche der Schwestern

Den Heiligen Abend verbrachten Marichka, Albina, Irenee, Weronika und ich gemeinsam mit Marichkas Mama, die stellvertretend für unser aller Mamas zu Weihnachten bei uns war. Nach einem besonderen Abendessen mit französischen, polnischen und österreichischen Spezialitäten besuchten wir die Christmette in unserer Pfarre und feierten die Ankunft unseres Herrn.
Am Christtag luden wir all unsere Freunde, die keine Familie haben, und Weihnachten sonst alleine feiern müssten, zum Weihnachtsessen ein. Viele folgten unserem Ruf und so verbrachten wir eine schöne Zeit gemeinsam am Balkon bei strahlendem Sonnenschein und 20° C. (siehe großes Foto oben)
Meine Advents- und Weihnachtszeit war dieses Jahr also ganz anders als gewohnt – ohne Familie, ohne Adventkalender, ohne Christbaum und ohne großes Trara. Ich konnte eintauchen in eine bescheidenere Welt ohne Kaufrausch und große Erwartungen und bin sehr dankbar für diese schöne, einmalige Erfahrung. Eine Schule der Demut und Bescheidenheit, die einem bewusst macht, was zu Weihnachten wirklich zählt.

Krippenspiel

Die Schwestern von Mutter Teresa von Kalkutta baten uns, in der Weihnachtszeit das Stück der Herbergsuche von Maria und Josef vorzuführen. Das erste Mal präsentierten wir das kleine Stück in Englisch bei den Schwestern in Ithakis für Kinder aus Nigeria, die anschließend von den Schwestern beschenkt wurden. Das zweite Mal führten wir es auf Griechisch für Drogenabhängige im Alexandra’s Park vor. Dieser Park liegt im Herzen Athens und in ihm leben dutzende Menschen in Zelten. Ob alle drogenabhängig sind, können wir nicht sagen, doch das Elend ist sehr groß. Sonntagabends teilen wir ihnen mit den Schwestern eine Mahlzeit aus, die sie sehr dankbar annehmen. Generell ist die Armut sehr groß in Griechenland. Nirgends habe ich so viele Menschen den Müll durchwühlen sehen wie hier in Athen. Es ist unglaublich traurig, alte, spindeldürre Menschen zu sehen, die im Müll nach Essen suchen und sobald sie fündig werden direkt aus der weggeworfenen Verpackung essen. Die Wirtschaftskrise macht dem griechischen Volk schwer zu schaffen. Unsere Freunde klagen über immer höher werdende Preise und schrumpfende Einkommen.

Deshalb freute es uns besonders, ihnen zu Weihnachten mit unserem Weihnachtsstück eine kleine Freude zu bereiten. Zum letzten Mal spielten wir das Krippenspiel Roma und Sinti in der Suppenküche vor, die sich unglaublich gefreut haben. Die Kinder waren begeistert von Maria und dem Jesuskind und folgten dem Schauspiel mit leuchtenden Augen. Danach wollten sie unbedingt gemeinsam mit Josef, Maria und Jesus ein Foto machen und waren ganz aufgeregt, vor der Kamera zu posieren. Es war sehr schön für uns, ihre Begeisterung zu sehen.

carine

Abschied von Carine

Direkt nach Weihnachten verließ uns eine sehr gute Freundin, Carine. Sie kommt aus dem Kongo und war früher Nonne. Seit dem Sommer war sie in Griechenland und hatte den großen Traum, in die USA zu reisen, um dort zu studieren. Nachdem ihr zwei Visaanträge bei der amerikanischen Botschaft verweigert wurden, verließ sie Griechenland nun in Richtung Frankreich, wo sie einen Bruder hat. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge haben wir sie am Christtag verabschiedet. Carine kam beinahe täglich in die Messe und hat sie mit ihrer wunderschönen Stimme sehr bereichert. Sie war oft bei uns zu Gast, ob bei Feierlichkeiten, Gebeten, Apostolaten oder beim Mittagessen. Vor kurzem hat sie sich bei uns gemeldet, um uns ein frohes neues Jahr zu wünschen. Wir sind glücklich, dass sie gut in Paris angekommen ist.

MrJames300Mr. James

Auch von meinem ersten, ältesten (im wahrsten Sinne des Wortes) und besten Freund möchte ich euch erzählen: Mr. James ist 98 Jahre alt und kommt aus Chicago. Er lebt seit langem in Athen und hat eine Griechin geheiratet. In der Pfarre munkelt man, er habe bei der amerikanischen Botschaft gearbeitet, weshalb er eine Art Ehrenbehandlung in unserer griechischen Pfarrgemeinde genießt. Seit dem Tod seiner Frau lebt Mr. James alleine in seiner Wohnung. Jeden Tag ist er von halb elf bis halb eins im After Cafe, wo er seine Zeitung liest. Jedes Mal, wenn wir ihn begrüßen, lädt er uns auf ein Getränk ein. Mr. James ist unglaublich weise und gibt uns immer sehr gute Ratschläge. Er hat mir vor allem in der ersten Zeit meiner Mission sehr weitergeholfen. Mr. James ist ein wahrer Meister in Geschichte, er liebt Musicals und kennt unzählige alte Gedichte und Musicallieder auswendig. Die Zeit mit ihm ist immer sehr bereichernd, lustig und interessant und vor allem sein ungetrübter Optimismus, sein Humor und die Leichtigkeit, mit der er das Leben nimmt, haben mich tief beeindruckt.

neueFreunde300Neue Freunde

Bei den Schwestern in Ithakis (nicht die Suppenküche) hat sich in den letzten zwei Monaten viel getan. Neben Michaela und ihrem Baby Rosaline Gabrielina sowie ein paar älteren griechischen Damen leben dort nun auch Jennifer aus Afrika mit ihrem eineinhalbjährigen Sohn Brian, Konstantina, ein bulgarisches Mädchen, das vor wenigen Wochen eine Tochter geboren hat, und drei ältere Frauen aus Bulgarien und Polen. Diese Frauen haben eine sehr traurige Geschichte, wir kennen die Damen jedoch nocht nicht so gut, weshalb ich im Moment nicht darüber berichten werde. Konstantinas Baby wurde einige Monate zu früh geboren und ist so klein, dass man den Eindruck bekommt, sie zu zerbrechen, wenn man sie hochhebt. Der Vater des Babys möchte ihr den Namen Sonja geben.
Michaela und Jennifer sind mit ihren Kindern öfters bei uns zu Gast und in letzter Zeit hat sich eine schöne Freundschaft entwickelt, die wir gerne vertiefen
möchten. Rosaline wächst so unglaublich schnell, dass wir bei unseren wöchentlichen Besuchen nur so staunen, Brian ist sehr still, aber unglaublich schlau und weiß genau, was er will.

Weihnachten im Krankenhaus

Um euer Gebet bitte ich euch für den kleinen David und seine Mutter Victorine, von denen ich im ersten Brief kurz gesprochen habe. David hat eine geistige Behinderung und Probleme mit seinem Herzen. Außerdem ist eine seiner Lungen kleiner als die andere. Um ihm zumindest seine Atemprobleme zu nehmen, wurde ihm eine Operation bezahlt, auf die er nun bereits seit einem Monat wartet. Kurz vor dem Heiligen Abend hätte es so weit sein sollen, doch die Ärzte mussten den Eingriff verschieben, sodass Victorine und David Weihnachten im Krankenhaus feiern mussten. Bei unserem Weihnachtsbesuch war Victorine sehr entmutigt und auch David, der sonst voller Energie und Lebensfreude ist, war sehr müde und erschöpft. Nun hoffen wir alle, dass der Eingriff überhaupt vorgenommen wird.

Die Flüchtlinge

Die Flüchtlinge haben Griechenland weitestgehend in Richtung Nordeuropa verlassen, in Athen bleiben sie nur in den seltensten Fällen, weshalb ich euch nicht viel von ihnen berichten kann. Heute haben wir um die Metrostation Viktoria jedoch wieder afghanische Flüchtlinge angetroffen. Vor allem jetzt, da das Wetter umgeschlagen hat, ist es sehr gefährlich, über die Ägäis zu kommen. Letzten Sonntag hörte ich die traurige Nachricht von Flüchtlingskindern, die auf der Überfahrt von der Türkei im Boot erfroren sind. Eine stille Tragödie unter vielen, der wir machtlos gegenüberstehen. Was bleibt, ist das Gebet.

Meinen Brief schließe ich mit den besten Wünschen für euch und mit einem wiederholten Dank dafür, dass ihr mir meine Mission ermöglicht habt und ich all das erleben darf.

Herzliche Grüße aus Athen, 
eure Julia

>>> Nachlesen: Brief eins

>>> Nachlesen: Brief zwei

>>> Nachlesen: Brief drei

>>> Nachlesen: Brief vier

>>> Nachlesen: Brief fünf

>>> Nachlesen: Brief sechs

 

Alle Fotos: Julia Eder

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