Mission Griechenland: Julias fünfter Brief – zum Thema Geduld

Julia Eder aus unserer Jugendredaktion reiste im Herbst 2015 nach Griechenland, um ein Jahr lang für die Ärmsten der Armen da zu sein (wir berichteten). Hier ist der fünfte Brief, in dem sie ihre Erlebnisse schildert und über ihre Gefühle schreibt …

H Υπομονή (I Ipomoni) – die Geduld …

Liebe Familie, liebe Paten, liebe Freunde,

Dieses schöne griechische Wort hat mich durch die vergangenen drei Monate begleitet. Immer wieder habe ich es gehört, ohne es mir zu merken. Dann blieb es, dank einiger Späßchen in der Gemeinschaft, plötzlich in meinem Gedächtnis und nun ist mein Wortschatz um ein sehr wichtiges Wort reicher. Um eine Sprache zu lernen, braucht man eben genau das: Geduld.
Doch nicht nur in Verbindung mit dem Lernen von Fremdsprachen braucht es Geduld. Das ganze Leben erfordert sie. In der vergangenen Zeit hat diese Tugend in beinahe allen Bereichen meiner Mission und im Leben der Menschen, denen wir täglich begegnen, eine große Rolle gespielt. Aber auch für euch, liebe Paten, denn auf diesen Brief habt ihr lange warten müssen.

family400Ein ganz besonderes Erlebnis war für mich der Besuch meiner Familie Ende Mai. Wir verbrachten eine wunderschöne Zeit gemeinsam auf der Insel Ägina und in der mittelalterlichen Stadt Nafplio am Peloponnes. Es war eine Zeit, in der ich richtig auftanken konnte. Ein einschneidendes Erlebnis und ein Gefühl, an das ich mich noch ganz genau erinnern kann, war das Warten am Flughafen auf ihre Ankunft. Nach acht Monaten, in denen ich meine Familie nicht gesehen habe, erwartete ich sie mit klopfendem Herzen in der Wartehalle. Ich konnte es kaum erwarten, sie in die Arme zu schließen. Noch nie in meinem Leben hatte ich zuvor so auf jemanden gewartet wie an diesem Tag am Flughafen auf meine Eltern und meine Schwester. Meine Geduld wurde sehr auf die Probe gestellt. Das Gefühl, sie durch die Glastür kommen zu sehen, war unbeschreiblich. Und ich bin überzeugt, dass das lange Warten dieses Glück noch gesteigert hat.

Kiria Anastasia und Kiria Lukia

altersheim400Das Warten also kann die Freude noch vergrößern. Es kann aber auch etwas Nervtötendes sein, manchmal etwas Qualvolles, oft etwas Aufregendes. Man kann auf etwas Konkretes warten oder sich gar nicht bewusst sein, dass man überhaupt wartet. Unseren Freunden hier geht es oft so. Besonders im Altersheim „Kalos Samaritis“. Die Bewohner des Heimes warten den ganzen Tag. Sie warten auf das Frühstück, sie warten auf ihre Medikamente, sie warten auf die Glocke, die zum Mittagessen läutet. Eine Stunde zuvor versammeln sich alle im großen Saal im Erdgeschoß, um auf jeden Fall pünktlich zu sein. Sie freuen sich immer wahnsinnig, uns zu sehen. Sobald wir am Montagvormittag das Zimmer betreten, hellen sich ihre Gesichter auf. Kalimera! Wünschen sie uns und sofort fragen sie, wie es uns geht. Manche, wie unsere liebe Kiria Angeliki, haben so viel zu erzählen, dass sie sich gar nicht von uns trennen können. Andere genießen es, wenn wir am Klavier ein paar Lieder für sie spielen. Zwei Damen, Kiria Anastasia und Kiria Lukia sind gute Freundinnen und empfangen uns wie Großmütter. Unsere Zeit im Altersheim ist sehr simpel, und doch ein großer Segen: zuhören und erzählen – und so voneinander lernen.

Die Menschen in Griechenland, die sich wohl am meisten in Geduld üben müssen, sind die Flüchtlinge und Immigranten. So oft begegnen wir jungen und alten Männern aus Syrien, aus Algerien aus Afrika, aus Afghanistan. Jeder kam mit einer Hoffnung, mit einer Vergangenheit. Sie verließen ihr Heimatland, gingen durch alle möglichen Strapazen auf ihrer Reise, um hier in Griechenland zu warten. Manche sind sechs Monate hier, andere Jahre. Sie warten auf ihre Papiere, auf einen Flüchtlingspass, auf Arbeit. Solange sie den Flüchtlingsstatus nicht haben, können sie nicht arbeiten. Ihr Geld haben sie für die Reise ausgegeben. Weil sie keine andere Möglichkeit haben zu überleben, arbeiten viele nun illegal auf den Orangen- und Olivenplantagen, um ein wenig Geld zu verdienen. Man muss sich die Hoffnungslosigkeit vorstellen, sechs Monate lang in einem Camp auszuharren, keine Möglichkeit zu arbeiten, wartend auf den Staat, der vollkommen überfordert ist mit der Menge an Anfragen für Papiere.

fluechtlinge400Einer der Männer, den ich kennengelernt habe, ist Junior aus Kamerun, 25 Jahre alt. Er verließ seine Heimat nach dem Tod seiner Mutter, den er in seinem Dorf, in seiner Familie, nicht verarbeiten konnte. Er wartet seit vier Monaten auf die Möglichkeit, in die Schweiz reisen zu können, wo er eine Schwester hat. Er versucht, geduldig zu sein. Er betet jeden Tag zu Gott. Kennengelernt haben wir ihn in unserer Pfarre, wo er mich um einen Rosenkranz gebeten hat. „Wir sind alle hier wo wir sind, weil es Gottes Wille ist“ hat er mir gesagt. Er glaubt daran, dass Gott alles lenkt. Das Gespräch mit Junior hat mich unglaublich berührt. Dieser junge Mann mit seinen Prinzipien, seiner Geduld und seinem unglaublichen Vertrauen in Gott.

Jeden Tag und überall begegnen wir Bettlern.

An jeder Ecke werden wir angesprochen. Die Menschen gehen durch die U-Bahn-Wagen, sie kommen in die Kaffeehäuser, sie warten vor Supermärkten. Die Armut ist allgegenwärtig und unübersehbar. Niemals erwartet man eine Situation wie sie hier herrscht in Europa. Die Stimmung in Griechenland ist gedrückt. Man kann die Hoffnungslosigkeit beinahe berühren! Die ganze Nation wartet, auf ein Wunder, womöglich. Wenn man tagtäglich mit dieser Realität konfrontiert wird, ist es sehr schwer, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass jede einzelne Person eine Geschichte hat, ein Schicksal, eine Vergangenheit. Das ist die größte Gefahr: Wir sehen nur die Masse von Menschen und nicht die individuelle Person.

Ich denke an den Mann, der uns vor zwei Wochen im Kaffeehaus angesprochen hat. Wir besuchten unseren Freund Mr. James, als er plötzlich auftauchte und um etwas Kleingeld bat. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Namen, doch er ging von Kaffeehaus zu Kaffeehaus und bettelte, damit er sich eine Telefonkarte kaufen konnte. Er brauchte sie, damit er seine Familie anrufen kann. Seine Frau und Tochter haben Griechenland bereits in Richtung Norden verlassen, er hat kein Geld, um nachzukommen. Er erzählte mir, dass seine Tochter krank ist und sich im Krankenhaus befindet. Er bettelte um dieses Geld, um sich über ihren Zustand informieren zu können. Seine Erscheinung hat mich wahnsinnig berührt. Um den Hals ein Kreuz aus bunten Perlen, sichtlich von einem Kind gebastelt. Die Klamotten zerschlissen, kaum ein Gramm Fett am Körper. Offensichtlich kümmerte er sich nicht darum, ob er etwas zu essen hatte. Nur das Telefonat mit seiner Tochter hatte er im Sinn.

Der klarste Blick auf das Leben

Seit einiger Zeit haben wir ein neues Apostolat. Einmal in der Woche gehen wir nun in das Stadtzentrum, um die Menschen, die auf der Straße leben, zu besuchen. Es gibt sehr viele Obdachlose in Athen. Es fehlt ihnen nicht so sehr an Nahrung wie an Gesellschaft. Wie oft gehen wir an einem Bettler auf der Straße vorbei, meiden den Blickkontakt, geben aber ein paar Cent, vielleicht einen Euro oder eine Wurstsemmel. Die Menschen, denen wir begegnen, haben meistens genug zu essen. Was sie nicht haben ist eine Person, die sich ihrer annimmt. Die ihnen ins Gesicht schaut und zuhört. Wir verbringen zwischen 15 Minuten und einer halben Stunde mit ihnen. Hier ist Geduld gefragt, denn jede Woche hören wir dieselbe Geschichte. Wir treffen Menschen mit außergewöhnlichen Schicksalen und einer unglaublichen Demut. Sie sprechen so offen über ihr Leben, ihre Probleme und haben doch diese Freude, auf dieser Welt zu sein. Oft sind die Menschen, die alles verloren haben, die am tiefsten Punkt angekommen sind die, die den klarsten Blick auf das Leben haben.

Im Frühling warteten Weronika, Ines und ich eine lange Zeit auf die Antwort, ob es möglich sein würde, an einem Sommercamp für Kinder auf Syros teilzunehmen, bei dem die erste Gemeinschaft vor zwei Jahren geholfen hat. Die Brüder Maristes, die in Menidi ein Zentrum für Kinder betreiben, hatten uns angeboten, ihnen zu helfen, wussten allerdings nicht genau, ob sie unsere Hilfe brauchen würden. Zwei lange Monate übten wir uns in Geduld, bis uns klar wurde, dass es nicht möglich sein wird.

Sommer voller Lachen und Freude

ursulinen400Doch wenn Gott eine Tür schließt, öffnet er eine andere. Ganz unerwartet und kurzfristig lud uns Schwester Theresa, eine Schwester der Ursulinen, die wir während unserer spirituellen Erholungstage kennengelernt hatten, zu ihrem Camp auf Naxos ein. In Rokis erster Woche verließen wir Athen für eine Woche, um mit 11 Kindern, Schwester Theresa und anderen Freiwilligen ein Sommercamp auf Naxos zu gestalten. Wir verbrachten eine wunderschöne Zeit mit den Kindern. Jeden Tag hatten wir Aktivitäten in der Kleingruppe oder Lektionen über aktuelle Themen, wie das Jahr der Barmherzigkeit. Gemeinsam gestalteten wir den Speisesaal, spielten Fußball, gingen an den Strand und badeten. Abends spielten wir Gemeinschaftsspiele auf dem typisch griechischen Flachdach oder machten Ausflüge durch die Stadt. Die Kinder lehrten uns auf Griechisch zu tanzen und waren sehr geduldige Lehrer. Für Roki war dieses Camp der perfekte Einstieg in die Mission und eine Einführung in die griechische Sprache. Ich war sehr beeindruckt davon, wie hilfsbereit und reif die Kinder sind. Jeden Tag hatten wir am Vormittag eine Stunde zum Reinigen der Zimmer und jedes der Kinder tat seine Aufgabe ohne Murren und mit einer immensen Freude. Auch beim Abwaschen und Kochen halfen sie mit großem Enthusiasmus. Das große Highlight des Camps war das Fest Agia Dorean, bei dem der Bischof in einer Prozession den Leib Christi durch die engen Gassen der antiken Hauptstadt Naxos‘ trug. Der Prozession schlossen sich viele Menschen an und so wanderten wir gemeinsam durch die ganze Burg. Ein einzigartiges Erlebnis! Diese Zeit auf Naxos war ein wirkliches Geschenk Gottes, voller Lachen und Freude und ich bin sehr dankbar für die Freundschaften, die wir in dieser Zeit geschlossen haben.

Kurze Zeit nach dem Camp empfingen wir Jean aus Frankreich, der ein Monat mit uns verbringen wird. Zwei Wochen später kam Santosh an, ein Seminarist aus Indien, der für zwei Jahre in Griechenland bleiben wird. Vor einer Woche hießen wir Mathilde aus Frankreich willkommen und bald bekommen wir eine neue Schwester, ebenfalls aus Frankreich.

Ich hätte ja bereits im August nach Hause kommen sollen. Doch je näher der Zeitpunkt meiner Heimreise gekommen war, desto größer wurde meine Unruhe über diese Entscheidung. Ich schwankte zwischen Studium und Mission und es schien mir unmöglich, mich zu entscheiden. Aus diesem Grund ging ich für drei Tage in ein Kloster, um klarer den Willen Gottes sehen zu können. In dieser Zeit des Wartens wurde mir bewusst, dass ich meine Mission abschließen möchte – so, wie es sich gehört, so, wie ich es bei meiner Aussendungsmesse versprochen habe. Eine Zeit für Gott und für den Nächsten! Deshalb bleibe ich nun meine 14 Monate bis Ende November in Griechenland.

Herzliche Grüße aus Athen,
eure Julia

 

>>> Nachlesen: Brief eins

>>> Nachlesen: Brief zwei

>>> Nachlesen: Brief drei

>>> Nachlesen: Brief vier

>>> Nachlesen: Brief fünf

>>> Nachlesen: Brief sechs

Beitragsbild: Ines, Roki, Weronika und Julia
Alle Fotos: Julia Eder

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